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Schlaf- und Wahrnehmungsstörungen bei behinderten Kindern
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Inhalt:
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1. Der Schlaf
Der Schlaf ist Teil eines zirkardianen Aktivitäts- und Ruhe-Rhythmuses.
Man unterscheidet REM-Schlaf (rapid eye movement) und Non-REM-Schlaf.
Der Non-REM-Schlaf unterteilt sich in die Schlafstadien 1,2,3
und 4; wobei das Schlafstadium 1 und 2 als Leichtschlaf, 3 und
4 als Tiefschlaf bezeichnet werden. Die einzelnen Schlafstadien
folgen einer spezifischen Reihenfolge, die als Schlafzyklus bezeichnet
wird. Ein Schlafzyklus beträgt durchschnittlich 90 min.; pro Nacht
werden durchschnittlich 4 bis 5 Schlafzyklen durchlaufen.
Ein qualitativ erholsamer Schlaf erfordert bestimmte prozentuale
Anteile des REM-Schlafes und der Tiefschlafphasen 3 und 4 an der
Gesamtschlafdauer. Diese prozentualen Anteile unterliegen alters-(entwicklungs-)
spezifischen Schwankungen 1. So besteht der Gesamtschlaf
eines 20 bis 30-jährigen zu weniger als 5% aus Wachanteilen, zu
20 - 25% aus REM-Schlaf, zu etwa 5% aus der Non-REM-Schlafphase
l, zu 45-50% aus der Non-REM-Schlafphase 2, zu 5 - 10% aus der
Non-REM-Schlafphase 3 und zu 10 - 15% aus der Non-REM-Schlafphase
4 1. Der Anteil von REM-Schlaf reduziert sich entwicklungsphysiologisch;
er ist ab dem 6. - 7. postconceptionalen Monat beim Feten (in-trauterin)
nachweisbar, zu diesem Zeitpunkt beträgt sein Anteil circa 75%
an den Gesamtschlafphasen7.
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Schlafarchitektur
eines gesunden 10- bis 12-jährigen Kindes 9 |
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Schlafarchitektur
eines jungen Erwachsenen 9 |
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Schlafarchitektur
eines 70-jährigen Menschen 9 |
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1.1 Einteilung der Schlafstörungen im Kindes- und Jugendalter
Eine einheitliche, altersübergreifende Festlegung, ab wann bei
Kindern eine Schlaflosigkeit im Sinne einer Störung vorliegt,
kann es aufgrund der Entwicklungsabhängigkeit und der interindividuellen
Variabilität des Schlafverhaltens nicht geben 4. Der
Schlafbedarf eines Kindes muss vielmehr individuell festgestellt
werden. Entgegen der Annahme zahlreicher Eltern ist das nächtliches
Erwachen noch keine Schlafstörung per se; - es gehört vielmehr
zum normalen Schlafverhalten eines Kindes. Von einer Schlafstörung
im eigentlichen Sinn kann erst dann gesprochen werden, wenn zum
nächtlichen Erwachen ein Fehlverhalten wie Schreien, Aufstehen
oder Wecken anderer Familienmitglieder hinzukommt 5.
Bei der Einteilung kindlicher Schlafstörungen unterscheidet man
zwischen Dyssomnien und Parasomnien. Während bei Dyssomnien Zeitpunkt,
Dauer und Qualität sowie Rhythmuses des Schlafes gestört sind,
treten bei Parasomnien im Verlaufe des Schlafes abnorme episodische
Ereignisse auf 4. Die weitere Unterteilung von Schlafstörungen
bei Kindern wird zur besseren Übersicht tabellarisch dargestellt
4.
A. Dyssomnien
- Insomnie
- Ein- und Durchschlafstörungen
- Hypersomnie
- bei psychischen Störungen (z. B. Depressionen)
- organisch bedingt (Schlafapnoe, Narkolepsie, hirnorganische
Störungen, Medikation u.a.)
- primär bedingt
- Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmuses
B. Parasomnien
- Pavor nocturus
- Alpträume
- Schlafwandeln
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Unter den Dyssomnien dominieren die Insomnien, also die Ein-
und Durchschlafstörungen. Sie treten bevorzugt im Zusammenhang
mit Erkrankungen, emotionalen Belastungen und Erwartungsspannun-gen
auf und unterstreichen somit die Beziehung der Regulation des
Schlafes mit der psychophysischen Gesamtverfassung des Kindes
6. Einschlafstörungen sind bei Kindern wesentlich häufiger
als Durchschlafprobleme. Bei der Einschlafstörung ist das Kind
entweder noch nicht müde, oder es will nicht einschlafen. Der
Umgang mit Durchschlafstörungen gestaltet sich besonders schwierig,
weil hier die Eltern ebenfalls aus dem Schlaf gerissen und in
ihrem Biorhythmus empfindlich gestört und belastet werden. Hypersomnien
zeichnen sich durch eine abnorm verlängerte Gesamtschlafdauer
aus; - sie finden sich bei Kindern selten und stehen dann meist
im Zusammenhang mit schweren psychischen Störungen oder (hirn-)
organischen Störungen.
Auch Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmuses haben häufig einen
organischen Ursprung. Die unter dem Begriff Parasomnien zusammengefassten
Störungen wie Alpträume und Pavor nocturus (night terror) u.a.
haben meist einen phasenhaften Bezug zur kindlichen Entwicklung
und treten besonders im Vorschulalter gehäuft auf 4.
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1.2 Prävalenz von Schlafstörungen im Kindesalter
Schlafstörungen sind über die gesamte Kindheit und Jugendzeit
verbreitet, nur ein geringer Teil der betroffenen Kinder und Jugendlichen
wird von den dann meist sekundär mitbetroffenen Eltern in der
Sprechstunde vorgestellt. Störungen des Schlafes können vorübergehend
als Ausdruck alltäglicher Belastungen auftreten und sind dann
nur selten Anlass für eine kinderärztliche Konsultation. Erst
die Chronifizierung und der Kontext einer psychischen Störung
mit weiteren Symptomen sensibilisieren den Betroffenen und das
Umfeld und führen dann zu der Inanspruchnahme professioneller
Beratung und Behandlung 4.
Angaben über die Prävalenz von Schlafstörungen bei Kindern und
Säuglingen unterliegen starken Schwankungen 1. Internationale
Studien schätzen, dass bis zu 20% aller Zweijährigen, 14% aller
Dreijährigen und 20% aller Zehn- bis Zwölfjährigen unter Schlafstörungen
leiden 8. In einer Schlaf-Fragebogen-Aktion der Zeitschrift
Eltern aus dem Jahr 1996 gaben 3200 Eltern Auskunft über das Schlafverhalten
ihrer Kinder 3.
Fazit: Viele Kinder schlafen nicht so,
wie ihre Eltern sich das vorstellen. Nach Angaben der befragten
Eltern litten über 50% der Null- bis Zehnjährigen an Durchschlafstörungen;
bei den unter Dreijährigen betrug dieser Anteil sogar 60%. 47%
der unter Sechsjährigen hatten eine Einschlaflatenz von bis zu
15 min., 30% benötigen bis zu 30 min. und 22% benötigen länger
als 30 min. um in den Schlaf zu finden. Daneben hatten 44% der
unter Dreijährigen, 32% der Drei- bis Fünfjährigen und 25% der
Sechs- bis Zehnjährigen laut Angaben der Eltern, Schwierigkeiten
allein einzuschlafen.
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2.1 Ursachen von Schlafstörungen bei Kindern mit Behinderungen
Im Zusammenhang mit behinderten Kindern werden sowohl Insomnien,
d.h. Einschlafstörungen und Durchschlafstörungen, als auch Hypersomnien
und Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmuses beschrieben 8.
Daneben findet sich in Abhängigkeit zu Behinderungsausmaß und
Behinderungsform (neuromuskuläre Erkrankungen, Polysaccharidoesen
u.a.) eine hohe Prävalenz von Atemstörungen in Form von zentralen
und / oder obstruktiven Apnoen (OSAS) und Hypopnoen 12, 13,
14.
Ähnlich wie der Terminus Behinderung ein sehr breites Spektrum
möglicher Schädigungsformen und Schädigungsausmaße beinhaltet,
können auch Schlafstörungen bei behinderten Kindern vielschichtige
Ursachen haben. Diese Ursachen umfassen die gesamte Palette möglicher
Ursachen für Schlafstörungen bei gesunden Kindern; sie können
jedoch durch sehr behinderungsspezifische Phänomene zusätzlich
problematisiert werden.
- Zentrale Schädigungen in den den Schlaf beeinflussenden Hirnstrukturen
können zu einer Störungen der rhythmischen Funktion des Schrittmachers
führen 12.
- Den Schlafrhythmus beeinflussende Umweltfaktoren können aufgrund
einer fehlerhaften (fehlenden) Wahrnehmung und/oder Wahrnehmungsverarbeitung
nicht wahrgenommen werden und zu einer fehlerhaften Synchronisation
mit der Umwelt führen 12.
- Körperliche Einschränkungen können Schlafstörungen verursachen:
Bewegungseinschränkungen können es einem Kind unmöglich machen
seine Körperposition zu verändern. Spastizität, Körperfehlhaltungen
und Kontrakturen können, ebenso wie Inkontinenz oder Hautirritationen,
Unwohlsein und Schmerzen verursachen. Eine eingeschränkte oder
fehlende Sehfähigkeit kann in der Stille der Nacht Unsicherheit
und Angst verursachen, wie auch umgekehrt eine eingeschränkte
oder fehlende Hörfähigkeit im Dunkel der Nacht am Schlaf hindern
kann 21.
- Die Behinderung des Kindes kann zu familiären Interaktionsproblemen
führen. Diese Interaktionsprobleme können zum Einen emotionale
Belastungen und Erwartungsspannungen beim Kind aufbauen. Sie
können aber in Form von elterlichen Schuldgefühlen auch dazu
führen, dass den Schlafstörungen des behinderten Kindes nicht
mit jener Klarheit und Konsequenz entgegengetre-ten werden kann,
wie bei einem gesunden Kind; - unerfreuliche nächtliche Gewohnheiten
des be-hinderten Kindes können sich somit entwickeln und festigen
7.
- Neben- und / oder Wechselwirkungen von Medikamenten können
das Schlafverhalten des behinderten Kindes beeinträchtigen und
Schlafstörungen verursachen.
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2.2 Beschriebene Auffälligkeiten in der Schlafstruktur geistig
behinderter Kinder
Es gibt keine klassische Schlafstruktur oder klassische Abweichung
in der Schlafstruktur behinderter Menschen. In unterschiedlichen
Studien wurden vielmehr Phänomene beobachtet, die bei einzelnen
Behinderten und / oder einzelnen Behinderungsformen nachweisbar
waren; bei anderen nicht. Die folgenden Studien beziehen sich
auf das Schlafverhalten geistig behinderter Kinder.
- Grubar et al. fanden bei geistig schwerbehinderten Kindern
weniger REM-Schlaf aufgrund von weniger und / oder kürzeren
REM-Schlafphasen als bei gesunden, altersentsprechenden Kindern.
Während der REM-Schlafphasen wiesen die behinderten Kinder zudem
weniger Augenbewegun-gen auf. Je schwerwiegender die geistige
Schädigung des Kindes war, desto offensichtlicher war dieses
Phänomen 12.
- Shibagaki et al fanden in ihrer Studie bei geistig schwerbehinderten
Kindern ein Mehr an der Tiefschlafphase IV, eine längere Schlafdauer,
einen verzögerter Eintritt der ersten REM-Schlafphase sowie
Auffälligkeiten in Form und Verteilung von Schlafspindeln 12.
- Quine beschreibt eine erhöhte Frequenz nächtlichen Erwachens
mit verzögertem Wiedereinschlafen geistig behinderter Kinder
8.
- Quine und Pfahl beschreiben Ein- und Durchschlafprobleme bei
geistig behinderten Kindern 12.
- Landesman-Dwyker und Sacket beobachteten bei bettlägerigen
geistig Schwerstbehinderten unterschiedlichen Alters einen überproportional
hohen Anteil von Schlaf oder schlafähnlichen Zuständen 12.
- Clausen et al untersuchten das Schlafverhalten von Trisomie-21
-Kindern (Down Syndrom). Sie beobachteten Durchschlafschwierigkeiten,
vermehrte Körperbewegungen im Schlaf, und ein vermehrtes Schlafbedürfnis.
Einige Kinder wiesen zudem Veränderungen im REM-Schlafanteil
und Veränderungen der Schlafspindeln auf 12.
- York et al untersuchten das Schlafverhalten von Erwachsenen
mit neuromuskulären Erkrankungen. Hintergrund war die Annahme,
dass neuromuskuläre Erkrankungen zu einer erhöhten Inzidenz
nächtlicher Atemstörungen führen könnten. Sie fand heraus, dass
Menschen mit neuromuskulären Erkrankungen in einem erhöhten
Maße an Tagesschläfrigkeit und Tagesmattigkeit leiden 13.
- Kotgal et al führten polysomnographische Untersuchungen Schwerstgeschädigter
(tetraphlegischer) CP-Kinder durch. Die Schlafphasenzuordnung
über EEG-Strukturen gestaltete sich auf-grund teilweise imponierender
EEG-Veränderungen bei einigen Kindern schwierig. Die Kinder
zeigten deutlich weniger Körperbewegungen im Schlaf. Sie wiesen
zudem zu einem hohen Anteil respiratorische Schwierigkeiten
in Form von zentralen Apnoen, obstruktiven Apnoen und obstruktiven
Hypopnoen auf, die sie nicht eigenständig durch eine Veränderung
der Körperhaltung kompensieren konnten 14.
- Ischebeck untersuchte das Schlafverhalten von cerebralparetischen
Kindern in einer schlaflaborähnlichen Situation. Er beobachtete
bei allen Versuchspersonen, dass die Körperseite, bei der ein
überwiegender Beugetonus bestandt, die längste Zeit der Nacht
auf der Schlafunterlage lag. So lag ein hemiphlegisches Kind
mit einer Beugestellung bzw. -kontraktur der rechten Seite übernormal
lange auf der rechten Seite. Des weiteren stellte Ischebeck
fest, dass die groben Körperbewegungen im Schlaf bei den Kindern
in Häufigkeit, Umfang und Intensität gegenüber gesunden Kindern
deutlich vermindert sind 15.
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2.3 Prävalenz und Auswirkungen von Schlafstörungen bei behinderten
Kindern
- Barlett et al befragten die Eltern zum Schlafverhalten von
insgesamt 214 geistig behinderten Kin-dern mit einem Alter von
< 16 Jahren. 53% der Kinder machten Probleme beim Ins-Bett-Gehen,
56% litten unter Einschlafschwierigkeiten und 56% litten unter
Durchschlafschwierigkeiten 8.
- Clements et al untersuchte das Schlafverhalten von 155 geistig
behinderten Kindern mit einem Alter < 15 Jahren. 34% der Kinder
litten unter nicht weiter definierten Schlafproblemen 8.
- Cunningham et al befragten die Eltern zum Schlafverhalten
von 120 Trisomie-21-Kindern im Alter von < 11 Jahren. 31% der
Kinder litten unter Einschlafschwierigkeiten, 59% litten unter
Durchschlafschwierigkeiten und 41% zogen nachts ins elterliche
Bett um 8.
- Phal und Quine untersuchten das Schlafverhalten von 200 geistig
behinderten Kindern mit einem Alter < 18 Jahre. 51% der Kinder
hatten Einschlafprobleme und 67% zeigten Durchschlafprobleme.
32% der befragten Eltern gaben ein Schlafdefizit ihrerseits
an 8.
- Quine befragte die Eltern zum Schlafverhalten von insgesamt
178 Kindern mit unterschiedlichen medizinischen Diagnosen. Allen
Kindern gemein war eine geistige Behinderung. Als hauptsächliche
Schlafstörung fand Quine Ein- und Durchschlafstörungen. 44%
der Trisomie-21-Kinder und 71% der cerebralparetischen Kinder
litten unter Schlafstörun-gen. 57% der Kinder mit einer unspezifischen
Hirnschädigung und 83% der Kinder, die ihre geistige Behinderung
in Form von Unfällen, pränatalen Entwicklungsstörungen, Fetopathien
oder genetischen und metabolischen Störungen erworben hatten,
litten unter Schlafproblemen. Nach Angaben der Eltern waren
die unter Schlafstörungen leidenden Kinder schwierig zu beaufsichtigen,
anstrengend und nervenaufreibend. Weitere Verhaltensauffälligkeiten,
die bei ihnen häufiger auftraten, als bei den nicht unter Schlafstörungen
leidenden Kindern mit gleicher medizinischer Diagnose, waren:
Hyperaktivität, Konzentrationsschwierigkeiten, Sucht nach Aufmerksamkeit,
Stören der Aktivitäten Anderer, destruktives Verhalten, repetitive
Aktivitäten, Echolalie, Enopresie, schamloses Verhalten 8.
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3. Auswirkungen der Schlafstörungen auf die Familie, das Familienleben
und das Sozialleben
Es wurden keine Untersuchungen gefunden, die sich exklusiv mit
den Auswirkungen von Schlafstörungen behinderter Kinder auf die
Familie, das Familienleben und das Sozialleben beschäftigen. Es
ist jedoch nicht davon auszugehen, dass diese Auswirkungen wesentlich
von den beschriebenen Auswirkungen von Schlafstörungen gesunder
Kinder differieren.
Besonders Mütter leiden unter den ruhelosen Nächten ihrer Kinder.
Bei der Auswertung des Fragebogens der Zeitschrift Eltern klagten
68% der betroffenen Mütter, dass sie schlecht schlafen, 58% fühlten
sich deprimiert, 60% klagten über Konzentrationsprobleme, 62%
konnten sich zu nichts motivieren und 59% fühlten sich in ihrem
Sexualleben gestört 3.
Owens und Kollegen untersuchten die Zusammenhänge zwischen kindlichen
und mütterlichen Schlafstörungen 10. 169 Mütter, deren
Kinder aufgrund bekannter Schlafstörungen in einer pädiatrischen
Klinik betreut wurden, wurden in dieser Studie erfasst:
- Kindliche Schlafstörungen führten auch bei den betreuenden
Müttern zu einer Beeinträchtigung des Schlafverhaltens und der
Schlafqualität. Die Folge waren subjektiv empfundene Leistungsbeeinträchtigungen
der Mütter am Tage.
- Owens empfiehlt, das Schlafverhalten von in der Familie lebenden
Kindern als mögliche Ursache für die Schlafstörungen von Erwachsenen
zu berücksichtigen.
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3.1 Auswirkungen von Schlafstörungen auf die Tagesbefindlichkeit
Untersuchungen zu den Auswirkungen von Schlafstörungen auf die
Tagesbefindlichkeit des Betroffenen finden in wissenschaftlichen
Untersuchungen derzeit so gut wie ausschließlich an erwachsenen
und gesunden Probanten statt. Die Ursachen hierfür könnten zum
Einen darin liegen, dass die Folgekosten der Schlafstörungen dieser
Personengruppe eine hohe volkswirtschaftliche Relevanz haben.
Zum Anderen erfordert die Feststellung der Tagesbefindlichkeit
das Durchführen umfangreicher Testbatterien, die ein definiertes
Maß kognitiver und motorischer Leistungen und eine hohe Motivation
auf Seiten des Probanten erfordern.
Es scheint logisch, dass nahezu alle Schlaf-Wach-Störungen mit
einer Tagesschläfrigkeit einhergehen 11. Jedoch, -
die Phänomene Schläfrigkeit und Leistungsfähigkeit sind komplexe
Konstrukte, die einer empirischen Prüfung bzw. einer Operationalisierung
nur sehr schwer zugänglich sind. Zudem handelt es sich bei diesen
Phänomenen um Untersuchungsgegenstände, die durch eine Vielzahl
von intervenierenden Variablen, wie zum Beispiel der Motivation
des Probanten oder der Untersuchung vorausgegangene Tätigkeiten
beeinflusst werden. Es muss somit festgestellt werden, dass die
Erforschung der Zusammenhänge zwischen Schlaf, Schläfrigkeit am
Tage und dem Leistungsverhalten als keine leichte Aufgabe gilt
'' Eine direkte Ursachen-Wirkungsbeziehung zwischen schlechtem
Schlaf einerseits und den Folgen von Müdigkeit andererseits ist
wissenschaftlich, d.h. objektiv nur sehr schwer nachweisbar.
Der subjektive Nachweis wird über die Befragung der Betroffenen
geführt; - hierzu wurden eine Vielzahl von Fragebögen und Skalen
entwickelt.
Allerdings:
- objektivierbare Daten der Tagesvigilanz von Insomniepatienten
zeigen häufig Diskrepanzen zu den subjektiven Empfindungen der
Betroffenen. Das heisst, dass die testphysiologisch und testpsychologisch
erfassbare motorische Aktivität, das Leistungsvermögen, die
Konzentrationsfähigkeit und die Reaktionsgeschwindigkeit von
Insomniepatienten häufig Normwerten entsprechen 16.
Das lässt vermuten, dass im Erleben des Insomniepatienten der
gestörte Schlaf primär für die Unzu-länglichkeiten des Tages
verantwortlich gemacht wird; - eine umgekehrte Kausalkette könnte
jedoch ebenso wahrscheinlich sein 16.
Diese und ähnliche Aussagen beschreiben die durchaus kontroverse
Debatte, die über die Auswirkungen von Schlafstörungen auf die
Tagesbefindlichkeit eines Insomniepatienten und deren gesellschaftliche
Folgekosten, geführt wird.
Im diesem Rahmen ist eine Fokussierung auf die Literatur, die
einen Zusammenhang zwischen Insomnie einerseits und Tagesmüdigkeit
andererseits sieht, sinnvoll:
- Beschrieben werden: Vigilanzeinbußen und Leistungsschwäche
mit Tagesmüdigkeit Erschöp-fungsgefühle, Minderung der Konzentrations-
und Leistungsfähigkeit, allgemeines Unwohlsein und Antriebsschwäche.
Zusätzlich können körperliche und psychische Symptome, wie Muskelschmerzen,
Irritabilität, depressive Verstimmungen und Angstsymptomatiken
auftreten 16.
- Insomniepatienten erscheinen weniger lebenslustig. Die Tagesbefindlichkeit
ist psychisch mehr von Stress gekennzeichnet. Psychologische
Tests beschreiben Insomniepatienten als an-gespannt, ängstlich,
besorgt, hypochondrisch und leicht depressiv ; - sie haben eine
Prädispo-sition für Alkohol- und Drogenmissbrauch 16.
- Im Vergleich zu Gesunden wurden bei Insomniepatienten Einbußen
in der sozialen Kompetenz gefunden, die sich wie folgt darstellen
16.
- 21% weniger soziale Kontakte,
- 17% häufiger Probleme mit Kollegen,
- 15% weniger Freundschaften,
- 10% häufiger Probleme mit Vorgesetzten,
- 39% geringere Arbeitsproduktivität,
- 1 % häufiger von der Arbeit abwesend.
- Personen mit Tagesmüdigkeit klagen häufiger über Gesundheitsprobleme
als solche mit ungestörter Vigilanz 16.
- In einer Studie an der Wilhelms Universität (Münster) wurde
die Schlafdauer von Versuchspersonen von anfänglich 7,5 h schrittweise
auf 6 h reduziert, diese reduzierte Schafdauer wurde über einen
Zeitraum von 3 Wochen beibehalten. Im Vergleich zu einer Kontrollgruppe
fand sich bei der Versuchsgruppe eine hochsignifikante Zunahme
der Tagesmüdigkeit, eine geringe - aber signifikante - Verschlechterung
des Reaktionsvermögen sowie eine tendenzielle Verschlechterung
der Tagesbefindlichkeit 17.
- Der Wachheitsgrad und die damit zum Teil verbundene Leistungsfähigkeit
von Schlafgestörten sinkt vor allem bei Aufgaben die kontinuierliche
Aufmerksamkeit verlangen linear zu der verminderten Schlafmenge.
Das heißt, dass Tagesmüdigkeit in direktem und linearem Zusammenhang
zu der Schlafdauer der vergangenen Nacht steht. Die Beschränkung
des nächtlichen Schlafes um nur 2 Std. führt zu einer statistisch
signifikanten Zunahme der Müdigkeit. Eine weitere Beschränkung
des nächtlichen Schlafes führt zu einer linearen Zunahme der
Tagesmüdigkeit 18.
- Aufgrund der kumulativen Schlafdeprivation chronisch Schlafgestörter
ist davon auszugehen, dass sich bereits um l h verkürzter Schlaf
negativ auf die Tagesvigilanz auswirkt, wenn dies wiederholt
auftritt. Die subjektiv empfundenen Leistungseinbußen des Insomniepatienten
lassen sich somit als ein Ausdruck mangelnder psychischer und
physischer Energie auffassen, auch wenn dieser Zustand in kurzdauernden
Testsituationen durch eine Mobilisierung von Kraftreserven durchbro-chen
werden kann 16.
- In einer Meta-Analyse vorhandener Forschungsarbeiten untersuchten
Pilchner und Huffcutt die Auswirkungen von Schlafrestriktion
auf das Leistungsvermögen von (gesunden und erwachsenen) Versuchspersonen
19.
Beim Leistungsvermögen unterschieden Pilchner und Huffcutt zwischen
Auswirkungen auf den Stimmungszustand (subjektive Einschätzung)
sowie die kognitive und die motorische Leistungsfähigkeit eines
Individuums (objektiv darstellbar). Bei der ,Schlafrestriktion'
unterschieden sie die ,teilweise' Schlafrestriktion (Schlafdauer
< 5 Std. in 24 Stunden Periode), die ,kurzzeitige' (Schlafentzug
für < 45 Std.) und die ,langfristige' Schlafrestriktion (Schlafentzug
für > 45 Std.). Sie kamen zu folgenden Ergebnissen:
- Trotz durchaus vorhandener gegenteiliger Aussagen und Veröffentlichungen
hat die Schlafrestriktion signifikante Auswirkungen auf das
menschliche Leistungsvermögen.
- Im Vergleich zu Individuen ohne Schlafmangel ist die motorische
Leistungsfähigkeit von Individuen mit Schlafrestriktion deutlich
schlechter. Die kognitive Leistungsfähigkeit wird durch Schlafrestriktion
stärker beeinträchtigt als die motorische Leistungsfähigkeit.
Der Stimmungszustand wird durch Schlafrestriktion deutlich stärker
beeinträchtigt als die kognitive und / oder die motorische Leistungsfähigkeit.
- Die teilweise Schlafrestriktion (Schlafdauer < 5 Std) hat
deutlich stärkere negative Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit
als eine kurzzeitige oder eine langfristige Schlafrestriktion.
- Das Ausmaß der Einschränkung der motorischen Leistungsfähigkeit
ist innerhalb der un-terschiedlichen Formen der Schlafrestriktion
(teilweise, kurzfristig, langfristig) relativ konstant.
- Das Ausmaß, der Einschränkung der kognitiven Leistungsfähigkeit
und des Stimmungszustandes ist bei der teilweisen Schlafrestriktion
stärker ausgeprägt als bei der kurzzeitigen oder langfristigen
Schlafrestriktion.
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3.2 Auswirkungen von Schlaf-Fragmentationen auf die Tagesbefindlichkeit
In verschiedenen Studien an jungen erwachsenen gesunden Versuchspersonen
konnte gezeigt werden, dass periodisches Wecken während der Nacht
eine Tagesschläfrigkeit hervorruft, deren Ausmaß mit der Intervallzeit
zwischen den Arousals korreliert. Bei häufigen Arousals entsprechen
die Defizite denen nach totalem Schlafentzug. Die beobachteten
Einbußen stehen bereits mit den EEG-Arousals in Beziehung, ein
komplettes Erwachen ist dazu nicht erforderlich. Bei Patienten
mit Störungen des Schlafes durch Fragmentation (wie bei periodischen
Beinbewegungen oder zentraler Schlafapnoe) erbringt eine Verbesserung
des nächtlichen Schlafes deutliche Steigerungen der Aufmerksamkeit
und Tagesleistungsfähigkeit 20.
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4. Anmerkungen zum Themenbereich "Schlaf"
Veröffentlichungen zum Themenbereich der Schlafstörungen behinderter
Kinder sind eher spärlich gesät. Um so mehr erstaunt die Signifikanz
der darin veröffentlichten Zahlen: Behinderte Kinder scheinen
in einem hohen Maße unter Schlafstörungen zu leiden. Die Diskrepanz
zwischen der Anzahl der Veröffentlichungen einerseits und der
Relevanz des Problems andererseits ist erstaunlich. Sie lässt
sich vielleicht damit erklären, dass auch gesunde Kinder -mehr
oder von der Gesellschaft unbemerkt - in einem nicht unbeträchtlichen
Ausmaß unter Schlafstö-rungen leiden. Dem Schlaf von Kindern wird
derzeit generell noch nicht die Beachtung gewidmet, die ihm zusteht.
Angesichts der zunehmenden Veröffentlichungen rund um das Thema
Schlaf könnte sich hier jedoch eine Trendwende abzeichnen.
Auch die Zeitschrift Kinder Spezial des Kindernetzwerkes hat
in ihrer jüngsten Veröffentlichung dem Thema "Kinder und Schlaf"
großen Platz eingeräumt29. Bemerkenswerter Weise wurde hierbei
die (besondere ?) Situation behinderter Kinder nicht gesondert
berücksichtigt. Dies erstaunt umso mehr, als im Kindernetzwerk
viele Elternselbsthilfegruppen behinderter Kinder organisiert
sind ; - die Kinder Spezial ihr Sprachrohr ist. Auch die Universitätskinderklinik
Graz sieht nur wenige Besonderheiten in der Schlafsituation behinderter
Kinder im Vergleich zu gesunden Altersgenossen 7: "
... für die [behinderten Kinder] treffen im wesentlichen die generellen
Ratschläge wie für gesunde Kinder zu" 7(54) Kast-Zahn
und Morgenroth gehen in ihren Buch davon aus, dass mittels bestimmter
Verhaltensregeln auch die Schlafstörungen vieler behinderter Kinder
positiv zu beeinflussen seien 25. Diese Verhaltensregeln
reichen im wesentlichen vom ,Grenzen setzen' über Einschlafrituale
bis hin zu expliziten Verhaltensregeln im direkten Umgang mit
dem schlafgestörten Kind. Veröffentlichungen über den Umgang mit
den Schlafstörungen behinderter Kinder beschränken sich im wesentlichen
auf Studien über die Effizienz einzelner Medikamente; - namentlich
die Melatoninsubstitution u.ä. 26,27.
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5. Wahrnehmungsforderung unter dem Aspekt möglicher Interventionen
im Schlaf
Was ist Wahrnehmung ?
Das beim behinderten Kind mögliche Spektrum an Schädigungen beinhaltet
in einer groben Zusammenstellung:
- Störungen der Motorik (Tonusveränderungen, assoziierte Reaktionen
u.a.)
- Störungen der kognitiven Leistungen (Intelligenz- und Lernstörungen)
- Störungen der Sinneswahrnehmung, ( Hör-, Seh- und Sensibilitätsstörungen)
- Störungen der Wahrnehmungsverarbeitung (fehlerhafte Aufnahme
und Weiterverarbeitung von Sinneswahrnehmungen)
Wahrnehmung bezeichnet einen Vorgang, bei dem Reize aufgenommen,
weitergeleitet, gespeichert, verglichen und koordiniert werden
und bei dem am Ende eine Reaktion erfolgt. Die benötigten Reize
entstammen sowohl der Umwelt, als auch dem eigenen Körper 22.
Wahrnehmung ist somit nicht nur als die passive Aufnahme von Sinnesreizen
zu verstehen, sondern als ein bewusster und zielgerichteter Denkprozess
24. Miske-Flemming bezeichnet die Wahrnehmung als das
Bewusstwerden dessen, was uns unsere Sinne eingeben. Den verschiedenen
Sinnesorganen entsprechend, kann man optische, akustische, taktile
und, wenn man will, auch Wahrnehmungsleistungen des Riechens und
des Schmeckens voneinander unterscheiden. Oft genug kommen Verarbeitungen
der verschiedensten Sinnesreize zusammen, um somit zur Perzeption,
der Wahrnehmung; zu führen. Die Wahrnehmungsleistungen dienen
sämtlich dazu, einströmende Umwelteindrücke zu ordnen und somit
die Struktur der Umwelt zu erfassen 23.
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5.1 Die Oberflächen - und Tiefenwahrnehmung
Die Wahrnehmung körperinnerer Vorgänge und Zustände wird als
Propriozeption bezeichnet. In Muskeln, Organen und Gefäßen befinden
sich Rezeptoren, die zum Beispiel auf mechanische Ver-änderungen
wie An- oder Entspannung einzelner Muskeln reagieren. Sie dienen
somit der Regulation vegetativer und motorischer Prozesse. Der
Mensch verfügt nur zu einem geringen Teil über eine bewusste Information
über diese Vorgänge. Er kann jedoch bewusst feststellen, in welcher
Lage oder Haltung sich sein gesamter Körper oder einzelne Extremitäten
befinden. Er kann feststellen, ob er sich bewegt, oder ob er bewegt
wird. Diese Art der propriozeptiven Wahrnehmung wird als kinesthetische
Wahrnehmung bezeichnet. Die kinesthetischen Informationen werden
in der gleichen Region der Hirnrinde übermittelt, wie die taktilen
Informationen von der Oberfläche des menschlichen Körpers. Überall
in der Oberfläche des menschlichen Körpers befinden sich Rezeptoren
unterschiedlichen Typs, die neben der eigentlichen taktilen Wahrnehmung
von Berührung, Druck und Vibration auch bei der Wahrnehmung der
Umgebungstemperatur und bei der Schmerzempfindung beteiligt sind.
Berührungen sind das älteste und einfachste Ausdrucksmittel, über
das bereits sehr frühe Kommunikations- und Interaktionsprozesse
ablaufen. Zu den elementaren taktilen Wahrnehmungsleistungen gehören
die Lokalisation eines Reizes, an der Körperoberfläche, und die
Dikriminierung von Intensität (Druck) und Extensität (Ausdehnung)
eines Reizes 24.
- Kinder mit einer Schwäche in der taktil-kinästhetischen Wahrnehmung
spüren beispielsweise nur sehr ungenau, wie ihre Finger zusammenarbeiten
und wie sie ihre Kraft dosieren müssen.
- Taktil überempfindliche Kinder können taktile Reize nur schwer
ertragen; sie reagieren mit Abwehr und vermeiden Körperkontakt.
- Kinder mit einem verminderten taktilen Diskriminationsvermögen
sind nicht fähig, zeitliche und räumliche Qualitäten taktiler
Sinneseindrücke zu erkennen. Die betroffenen Kinder haben Schwierigkeiten
die Beschaffenheit ihrer Umwelt durch Tasten zu erkennen und
später zu abstrahieren.
- Bei einem Kind mit einer Hyposensibilität in seiner kinästhetischen
Wahrnehmung führt erst ein sehr intensiver Kontakt mit seiner
materiellen Umwelt zu brauchbaren Informationen, die das Kind
dann weiterverarbeiten kann.
- Bei einem Kind mit einer Hypersensibilität in seiner kinästhetischen
Wahrnehmung werden Veränderungen der Lage im Raum als extrem
empfunden; entsprechend wird das Kind Bewegungserfahrungen meiden.
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5.2 Gleichgewicht
Auch der Vestibularapparat vermittelt Informationen zur räumlichen
Orientierung des Körpers und ist somit an der Kontrolle von Kopf-
und Körperhaltung sowie der Augenbewegungen beteiligt. Die Rezeptoren
im Vorhof des Vestibularapparates reagieren auf jede Art der Beschleunigung
und zeigen damit Veränderungen der Kopfstellung und Beschleunigungen
oder Verlangsamungen des gesamten Körpers an.
Die Informationen des Gleichgewichtssinnes gehen nahezu ständig
in die Steuerung von Haltung und Bewegung ein. Wie nehmen diese
Reize jedoch in der Regel nicht wahr. Wenn der Vestibularapparat
jedoch dauerhaft heftig erregt ist, können Erregungsmuster entstehen,
die ihrerseits vegetative Reak-tionen, wie zum Beispiel das Erbrechen,
auslösen können 24.
Kinder mit einer vestibulären Überempfindlichkeit vermeiden
Bewegungsveränderungen. Eine Gleichgewichtsüberempfindlichkeit
zeigen die Kind durch Angst vor Bewegungsveränderungen. Werden
sie angestoßen, so geraten sie 'aus dem Gleichgeicht' und zeigen
Kompensationen. Deshalb sollten die Reize gerade bei Defiziten
in der vestibulär-propriozeptiven Wahrnehmung unbedingt sehr differenziert
vermittelt werden. Bei einer ausgeprägten Störung des Gleichgewichts,
kann es sogar kontraindiziert sein, das Gleichgewichtsorgan direkt
zu stimulieren. Werden Gleichgewichtserfahrungen jedoch vermieden,
kann es zu einer weiteren Deprivation dieses Sinnesbereiches und
einem sich potenzierenden Defizit kommen 24.
Kinder mit einer Unterempfindlichkeit des Gleichgewichts sind
oft ständig in Bewegung und suchen extreme vestibuläre Stimulationen.
Auch hier liegt ein Erfahrungsmangel vor, weil die Wahrnehmung
nicht richtig dosiert ist und die Erfahrungen für Bahnung und
Speicherung oftmals zu schwach sind 24.
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5.3 Sehen
Das Sinnesorgan für die visuelle Wahrnehmung ist das Auge. Das
Auge kann nicht im eigentlichen Sinne nicht ,selbst' sehen; -
es liefert vielmehr die "notwendigen Sinnesinformationen für die
visuelle Wahrnehmung. Rezeptoren der Netzhaut setzen eine bestimmte
Lichtverteilung in neuronale Impulse um; die Lichtverteilungen
werden also in Muster strukturiert. Entsprechend kann zwischen
einzelnen Elementen im visuellen Feld unterschieden werden. Die
Wahrnehmungsleistung besteht darin, diese komplexen Muster zu
erkennen, sie zu gestalten und darauf zu reagieren. Konturen,
- verstanden als die Grenzen verschiedener Helligkeit - sind Grundelemente
der visuellen Wahrnehmungsleistung. Erst das Erfassen der Konturen
ermöglicht die Formwahrnehmung und die Figur-Grund-Wahrnehmung.
Weitere Wahrnehmungsleistungen sind die Farbwahrnehmung, die räumliche
Wahrnehmung und die Bewegungswahrnehmung 24.
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5.4 Hören
Das Sinnesorgan für die auditive Wahrnehmung sind die Ohren.
Die auditive Wahrnehmung hat ihre Ursprünge in komplexen Vorgängen,
die hinter dem Trommelfell, im Mittelohr und im inneren Ohr ablaufen.
Dabei ist nicht nur die Schallübertragung durch die Luft, sondern
auch die Schall Übertragung über den Knochen relevant 24.
Den Ausführungen von Tomatis folgend, sind enge Verknüpfungen
zwischen vestibulärer Perzeption, Bewegungskoordination und akustischer
Wahrnehmung vorhanden. Die akustische Stimulation bahnt zum Einen
die Aufmerksamkeit, zum Anderen bestimmt die 'Beschaffenheit unseres
Hörsinnes unseren Wahrnehmungshorizont' und versetzt uns somit
in die Lage, unsere klangliche Umwelt zu erfassen, einzuordnen
und darauf zu reagieren. Unsere Kommunikation- und Interaktionsfähigkeit
ist direkt von unserer akustischen Verarbeitungsfähigkeit abhängig
24.
Man weiß heute, dass die einzelnen Sinnesbereich sehr eng miteinander
verknüpft sind und sich inten-siv gegenseitig beeinflussen. In
diesem Kontext sind zum Beispiel die besonderen Zusammenhänge
zwischen Gleichgewichtssinn einerseits und visueller bzw. auditiver
Wahrnehmung zu erwähnen. Bisher kann jedoch nicht einwandfrei
festgestellt werden, ob beispielsweise bei der sensorisch-integrativen
Dysfunktion, primär vestibuläre oder propriozeptive Verarbeitungsdefizite,
oder eine Kombination beider zugrunde liegen. Daneben ist festzustellen,
dass zum heutigen Zeitpunkt eine Differenzierung zwischen propriozeptiver
und taktiler Stimulationsverarbeitung noch nicht einwandfrei möglich
ist 24.
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5.5 Anmerkungen zum Themenbereich, Wahrnehmungsforderung unter
dem Aspekt möglicher Interventionen im Schlaf
Die Frage nach Möglichkeiten der Wahrnehmungsförderung unter
dem Aspekt möglicher Interventionen im Schlaf kann nicht schlüssig
beantwortet werden. Hier stellen sich durchaus einige Fragen.
Es scheint nicht die klassische Wahrnehmungsstörung zu geben.
Der Terminus Wahrnehmungsstörung umschreibt vielmehr eine Vielzahl
möglicher Störungen, die sich sowohl als Über- wie auch als Unterstimulation
präsentieren können und die somit auch unterschiedliche Therapieansätze
erfordern. Die Wahrnehmungsförderung ist ein Interaktionsprozess
zwischen dem Therapeuten und dem Kind. Isert hat sich mit den
Wechselwirkungen zwischen der Kommunikation von Patient und Therapeut
sowie mit der daraus resultierenden Interpretation der Reizinformation
beschäftigt. Ort, Zeitpunkt, Intensität und Art der Kommunikation
haben seines Erachtens einen entscheidenden Einfluss auf die Interpretation
der einzelnen Situation, die Wiedergabe der Situation und die
Reaktion auf eine Situation 24.
Die Dosierung einer Stimulation ist wichtig, wenn die Therapie
erfolgreich sein soll 28. Loose geht davon aus, dass
zu viele oder auch zu wenige Reize die regelrechte Aufnahme, Speicherung
und Wiederabrufbarkeit von Informationen und damit den Aufbau
von neuronalen Verbindungen sowie eines eigenen Vorstellungsbildes
von der Umwelt verhindern 28. Die Dosierung der Stimulation
erfährt der Therapeut über die Beobachtung der kindlichen Reaktionen;
- Mimik, Gestik, Sprache, Haltung etc.; objektiv messbare Kriterien
stehen nicht zur Verfügung.
Fragen, die sich in diesem Zusammenhang stellen sind u.a.: Ist
die selektive Stimulation eines Wahrnehmungssystems sinnvoll ?
Kann eine Stimulation losgelöst von der Interaktion mit dem Therapeuten
durchgeführt werden ? Wie kann die Stimulation dann sicher und
sinnvoll dosiert werden ? Wie können Langzeiteffekte einer solchen
Wahrnehmungsförderung messbar dargestellt werden ?
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Literatur / Fußnoten:
1 Sturm A.;Clarenbach P.: Checkliste Schlafstörungen, Thieme
Verlag Stuttgart, 1997
2 Stümpfig, Sven: Schlafstörungen im Kindesalter, in: Kinderkrankenschwester,
1999, Vol. 18 (2): 72-74
3 Leimbeck, Birgit Neue Serie: Kinder-Schlaf (3), in: Eltern,
September 1996: 117-120
4 Steinhausen, H.-C.: Schlafstörungen, in: " Sammelmappe Schlafstörungen
" des Kindernetzwerkes (keine Quellenangabe) :517-536
5 Milupa Medical Service: Normales Schlafverhalten und Vorgehen
bei Schlafstörungen in den ersten fünf Lebensjahren, Order-Nummer:
719-400
6 Simon, C. : Schlafstörungen, in: Pädiatrie, Schattauer Verlag
Stuttgart, 7. Auflage, 1995
7 Universitäts Kinderklinik Graz: Einschlafen, durchschlafen,
einfach schlafen, in: Deutsche Behinderten Zeitschrift, 1999,
Heft 1: 53-54
8 Quine, L. Sleep problems in children with mental handicap,
in: Journal of Mental Deßciency Research,1991, Vol. 35: 269-290
9 Das Schlafmedizinportal: http://www.schlafmedizin.de/infoiTnation/facliintbs/schlafanalyse/
schlafarchitekturO l .html
10 Owens, J.; Boergers, J. u..a.: Relationship Between Maternal
and Child Sleep Disturbances, in: Sleep, 1999, (22), Supplement:
S.20-21
11 Weeß, H.-G. u.a.: Vigilanz, Einschlafneigung, Daueraufmerksamkeit,
Müdigkeit, Schläfrigkeit - die Messung müdigkeitsbezogener Prozesse
bei Hypersomnien, in: Somnologie, 1998,2:32-41
12 Stores, G.: Annotation: Sleep Studies in Children with a Mental
Handicap, in: Journal of ChildPsychology andPsychiatry, 1992,33
(8): 1303-1317
13 York, J. etal: Sleep Complaints in Patients with Neuromuscular
Disorders, in: Sleep, 22, Supplemental: 311
14 Kotgal, S. et al: Sleep Abnormalities in Patients with severe
Cerebral Palsy, in: Developmental Medicine and ChildNeurology,
1994, 36: 304-311
15 Ischebeck, W.: Schlafuntersuchungen bei Kindern mit infantiler
Zerebralparese, Dissertation an der Orthopädischen Klinik Düsseldorf,
1974
16 Hajak, G.; Rüther, E.: Grundlagen derlnsomnie, in: Insomnie,
Springer Verlag, Berlin, 1995: 2-12
17 Müller, T.H. u.a.: Abstract zu: Auswirkungen chronischer Schlafrestriktion
auf die Leistungsfähigkeit, Stimmung und Müdigkeit, in: Somnologie,
1997, 1: 65-73
18 Rosenthal, L. u.a.: Level of Sleepiness and Total Sleep Time
Following Various Time in Bed Conditions, in: Sleep, 1993, 16
(3): 226-232
19 PilcherJ. u. HuffcuttA.: Effects of Sleep Deprivation on Performance:
A Meta-nalysis, in: Sleep, 1996, 19 (4): 318-326
20 Bonnet, M.H: Schlaf-Fragmentation als Ursache von Tagesmüdigkeit
und Leistungseinbuße, in: Wiener Medizinische Wochenschrift, 1996,
146(13-14): 332-334
21 Burton, A.: The management of sleep problems, in: James Hogg,
Judy Sebba and Loretto Lambe: Profound Retardation and Multiple
Impairment, Chapman And Hall, London, 1990, Vol. 3: 275-284
22 Zimmermann, A.: Begriffsverständnis und Einordnung, in: Zimmermann,
A.: Ganzheitliche Wahrnehmungsförderung bei Kindern mit Entwicklungsproblemen,
verlag modernes lernen, Dortmund, 2. Auflage, 2000: 13-40
23 Miske-Flemming, D.: Was ist Wahrnehmung? in: Miske-Flemming,
D.: Theorie und Methode zur Behandlung von perzeptionsgestörten
Kindern. Neue Reihe Ergotherapie, Schulz-Kirchner Verlag, Idstein,
2000, 10. überarbeitete Auflage: 10-13
24 Loose, A.-C.: Wahrnehmung - die Auseinandersetzung mit der
Umwelt - Förderung der Perzeptionsentwicklung in der Sensorischen
Integrationstherapie am Beispiel der taktil-kinästhetischen Wahrnehmung
(Teil I), in: Krankengymnastik, 2001, 53, (1): 25-38
25 Kast-Zahn, A. u. Morgenroth H.: Besondere Probleme: Geistig
behinderte Kinder, in: Jedes Kind kann schlafen lernen - das Ein-
und Durchschlafbuch, Oberstebrink u. Partner, Ratingen, 2. Auflage,
1995: 141-142
26 Jan, M.: Melatonin for the Treatment of Handicapped Children
with Sleep Disorders, in: Pediatric Neurology, 2000, 23 (3): 229-232.
27 Pillar, G. u.a.: Melatonin treatment in an institutionalised
child with psychomotor retardation and an irregular sleep-wake
pattern, in: Archives qfCüdhoodDisability, 1998, 79(1): 63-64
28 Loose, A.-C.: Wahrnehmung - die Auseinandersetzung mit der
Umwelt - Förderung der Perzeptionsentwicklung in der Sensorischen
Integrationstherapie am Beispiel der taktil-kinästhetischen Wahrnehmung
(Teil II), in: Krankengymnastik, 2001, 53, (2): 250-262
29 Kindernetzwerk Schlafstörungen und Ängste bei Kindern - Therapiepalette
ist erstaunlich groß, in: Kinder Spezial, März 2001, (6): 12-13
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Quelle:
IGAP - Institut für Innovationen im Gesundheitswesen und
angewandte Pflegeforschung
Kinder-Reha - Maren Melke, Fachschwester für pädiatrische Intensivpflege
und Diplom-Pflegewirtin
© 2001
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