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Grundlagen - Schlaf

Das Schlafverhalten des Säuglings und Kleinkindes und seine häufigsten Störungen

C. Benz, R. H. Largo

Inhalt:

  • Physiologie des Schlafes
  • Die Entwicklung des Schlaf-Wachrhythmus
  • Prinzipielles zum kindlichen Schlafverhalten
  • Schlafstörungen
  • Entwicklung von (Ein-) Schlafgewohnheiten
  • Besuch im Elternbett
  • Literatur

 

 

Physiologie des Schlafes

Der Schlaf ist ein hochorganisierter Verhaltenszustand des Gehirns, der wie andere Verhalten einem Reifungsprozess unterliegt, welcher beim Ungeborenen beginnt und sich bis ins hohe Alter fortsetzt.

Betrachten wir beispielsweise den Schlafbedarf. Er ist in keiner Altersperiode konstant, sondern nimmt im Verlaufe des Lebens kontinuierlich ab. (Abb. 1).

Während ein Neugeborenes durchschnittlich 16 Stunden am Tag schläft, sind bei einem 80-jährigen Menschen 6 Stunden ausreichend.

Aber auch die beiden Hauptschlaftypen, der REM-Schlaf (auch aktiver Schlaf oder oberflächlicher Schlaf genannt) und der Non-REM-Schlaf (auch ruhiger Schlaf oder Tiefschlaf genannt), verändern ihren proportionalen Anteil am Gesamtschlaf während des ganzen Lebens (Abb. 1).

REM steht für den englischen Begriff Rapid Eye Movement und meint die für dieses Schlafstadium typischen schnellen Augenbewegungen. Im Non-REM-Schlaf fehlen diese Bulbusbewegungen. Zudem lassen sich diese beiden Schlafstadien mit Hilfe von EEG- und Verhaltensparametern wie Atmung, Muskeltonus und motorischer Aktivität unterscheiden.

Wird das Schlafverhalten eines Menschen im Verlauf einer Nacht untersucht, stellt man fest, dass die Stadien von oberflächlichem und tiefem Schlaf in zyklischer Art und Weise durchlaufen werden. In der ersten Hälfte des Nachtschlafes herrschen die tiefen Schlafstadien vor, während in der 2. Hälfte gehäuft die oberflächlicheren Stadien zu beobachten sind. Neben der Abnahme des Gesamtschlafes und des Anteils an REM-Schlaf verändern sich mit zunehmendem Alter auch die Zusammensetzung der einzelnen Schlafzyklen. Die oberflächlichen Stadien überwiegen. Im höheren Alter können sich nachts längere Wachphasen herausbilden.

Abb. 1: Die Dauer des Gesamtschlafes sowie des REM- und Non-REM-Schlafes von der Geburt bis ins hohe Alter. Waagerecht: Lebensalter. Senkrecht: Dauer des Gesamtschlafes sowie der Anteile des REM- und Non-REM-Schlafes. (Modifiziert nach Roffwarg und Mitarbeiter 1966)

Abb. 1: Die Dauer des Gesamtschlafes sowie des REM- und Non-REM-Schlafes von der Geburt bis ins hohe Alter. Waagerecht: Lebensalter. Senkrecht: Dauer des Gesamtschlafes sowie der Anteile des REM- und Non-REM-Schlafes. (Modifiziert nach Roffwarg und Mitarbeiter 1966)

 

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Die Entwicklung des Schlaf-Wachrhythmus

In den ersten Lebenswochen ist der Schlaf des Neugeborenen als Fortsetzung des intrauterinen Lebens noch regelmäßig über Tag und Nacht verteilt. Bis zum 3. Lebensmonat werden Schlaf- und Wachphasen so umverteilt, dass sich nachts eine längere Schlafperiode von 6 oder mehr Stunden bildet. Die Ausbildung eines regelmäßigen Schlaf-Wach-Zyklus ist, wie viele andere Entwicklungsschritte, von einem Reifungsprozess des Gehirns abhängig und lässt sich durch erzieherische Maßnahmen, zum Beispiel Schreienlassen des Kindes, zusätzlicher Flaschennahrung oder Medikamentengabe nicht beeinflussen (Grunwaldt et al. 1960). Immerhin schlafen 70% aller Kinder bis zum Ende des dritten Monats durch (Basler et al. 1980). Hat sich nun im Verlauf der ersten Lebensmonate eine gewisse Regelmäßigkeit im Schlaf-Wachverhalten des Säuglings eingestellt, wird die Dauer des Nachtschlafes im Verlauf des ersten Lebensjahres vorerst auf Kosten des Tagschlafes zunehmen, später im Verlauf des zweiten bis fünften Lebensjahres langsam abnehmen (Abb. 2).

Eindrücklich bleibt die in jedem Alter feststellbare große interindividuelle Variabilität, die bei gleichaltrigen Kindern bis zu 5 Stunden Unterschied im Gesamtschlaf ausmachen kann. Damit kann der Schlafbedarf eines Kindes nicht von seinem chronologischen Alter abgeleitet werden.

Während sowohl der Nacht- wie auch der Tagschlaf interindividuell sehr variabel ist, sind die intraindividuellen Unterschiede wesentlich kleiner (Basler et al. 1980). Kinder, die in den ersten Lebensjahren wenig schlafen, neigen dazu, dies auch in den folgen den Jahren zu tun. Der Schlafbedarf ist also eine biologisch vorgegebene Größe.

Abb. 2: Entwicklung des Nacht- und Tagschlafes im Verlauf der ersten fünf Lebensjahre. Die grauen Flächen geben den Streubereich, die Linie in der Mitte die durchschnittliche Schlafdauer an

Abb. 2: Entwicklung des Nacht- und Tagschlafes im Verlauf der ersten fünf Lebensjahre. Die grauen Flächen geben den Streubereich, die Linie in der Mitte die durchschnittliche Schlafdauer an

 

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Prinzipielles zum kindlichen Schlafverhalten

Aus den Studien von Basler et al. 1980 und Bühler et al. 1981 lassen sich einige praktische Regeln ableiten:

1. Die Dauer von Tag- und von Nachtschlaf stehen in einer negativen Beziehung zueinander. Das heißt, je mehr ein Kind tagsüber schläft, desto weniger schläft es nachts und umgekehrt.

2. Einschlaf- und Aufwachzeiten stehen in einem positiven Verhältnis zueinander. Das heißt, je früher ein Kind einschläft, desto früher wird es morgens wach sein und umgekehrt.

3. Das zirkadiane System des menschlichen Körpers, die biologische Uhr, die neben dem Schlaf verschiedene Körperfunktionen (wie Herzfrequenz, Körpertemperatur, Blutspiegel zahlreicher Hormone) reguliert, erlaubt keine rasche Änderung des Schlafverhaltens.

Der Schlafrhythmus lässt sich weder beim Kind noch beim Erwachsenen von einem Tag auf den anderen umstellen. Eine Veränderung des Schlafrhythmus kann nur durch eine konsequente Erziehungshaltung während sieben bis 14 Tagen erreicht werden.

Dies bedeutet auch, dass die Regeln 1) und 2) nicht für ein einmaliges Ereignis, sondern auch für Zeitperioden von mindestens einer Woche Geltung haben.

4. Nächtliches Erwachen ist keine Schlafstörung, sondern gehört aufgrund der bekannten Schlafzyklen zum normalen Schlafverhalten. Zur Schlafstörung wird es erst, wenn es mit störendem Verhalten wie Schreien, Aufstehen und Wecken der Eltern einhergeht.

 

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Schlafstörungen

Schlafstörungen gehören zu den häufigsten Verhaltensstörungen im Säuglings- und Kleinkindalter. Sie werden bei zehn bis zwanzig Prozent aller Kinder, schwere Formen bei sechs bis zehn Prozent, beobachtet (Largo et al. 1989). Ob bei einem Kind eine Schlafstörung vorliegt, hängt einerseits von seinem Schlafverhalten und andererseits von den elterlichen Vorstellungen über das normale kindlich Schlafverhalten ab. Wird einerseits dem kindlichen Schlafverhalten genügend Rechnung getragen und andererseits die elterliche Erziehungsvorstellung mit dem kindlichen Schlafverhalten in Übereinstimmung gebracht, lassen sich die meisten Schlafstörungen beheben.

Ein konkretes Vorgehen beinhaltet neben einem erklärenden Elterngespräch das Führen eines sogenannten Schlafprotokolls während 10 bis 14 Tagen (Abb. 3). Daraus kann der effektive Schlafbedarf des Kindes errechnet und die Verweildauer im Bett dem Schlafbedürfnis des Kindes angepasst werden.

Die Entscheidung, ob ein Kind noch einen Tagschlaf braucht und wann es abends abgelegt wird, soll den Eltern überlassen werden. Wird schließlich am festgelegten Vorgehen für mindestens 14 Tage festgehalten, können 80% der Schlafstörungen in 1-6 Wochen behoben werden (Largo et al. 1984).

Abb. Schlafprotokoll: Im Verlaufe der Beratung verändert sich das unregelmäßige Schlaf-Wach-Verhalten in ein regelmäßiges Muster mit längeren Schlaf- und Wachperioden. (Protokollblätter können bei Milupa Medical Service Programm bezogen werden)

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Abb. Schlafprotokoll: Im Verlaufe der Beratung verändert sich das unregelmäßige Schlaf-Wach-Verhalten in ein regelmäßiges Muster mit längeren Schlaf- und Wachperioden. (Protokollblätter können bei Milupa Medical Service Programm bezogen werden)

 

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Entwicklung von (Ein-) Schlafgewohnheiten

Bereits das Neugeborene, sicher ab das ältere Kind verfügt über eine gewisse, wenn auch beschränkte Fähigkeit, sich selbst zu beruhigen und selbständig einzuschlafen. Neben dem Entwicklungsstand des Kindes spielt dabei das Verhalten der Mutter eine wesentliche Rolle. Je nachdem, ob eine Mutter ihr Kind in den Schlaf wiegt, es an ihrer Brust einschlafen lässt oder aber wach ablegt und ihm höchstens übers Köpfchen streicht oder seine Händchen hält, wird das Kind mit der Zeit das eine oder andere Verhalten mit dem Einschlafen verbinden. Es ist ein Bestandteil des Einschlafrituals geworden. Dadurch wird auch das kindliche Verhalten beim nächtlichen Erwachen mitbestimmt.

Ein Kind, das gelernt hat, am Abend selbständig einzuschlafen, wird auch in der Nacht den Schlaf eher selbst wieder finden. Im Verlauf des zweiten und dritten Lebensjahres wird für die Kinder häufig ein Nuscheli (Tüchlein), eine Puppe oder ein Teddybär zum ständigen Begleiter. Dieses sogenannte Übergangsobjekt, gewissermaßen ein "Mutterersatz auf Zeit", dient den Kindern als Hilfe auf dem Weg zu einer eigenen inneren Selbständigkeit. Meist wird dieser Gegenstand dann auch beim Einschlafen zu einem unerlässlichen Begleiter durch die Nacht.

 

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Besuch im Elternbett

Ein Teil der Kinder, die nachts aufwachen, suchen das Bett der Eltern auf. Sofern sich die Eltern dadurch nicht gestört fühlen, gibt es keinen Grund, dass ein solches Schlafverhalten zu nachteiligen Folgen für das Kind führen wird. In den meisten Ländern der dritten Welt, aber auch in einigen europäischen Ländern, zum Beispiel Schweden (Klackenberg 1971), schläft die Mehrheit der Säuglinge und Kleinkinder mit den Eltern. Man kann sich aus anthropologischer Sicht fragen, ob kleine Kinder nicht überfordert sind, wenn sie allein schlafen müssen.

Fühlen sich die Eltern durch die Anwesenheit des Kindes gestört, oder haben sie erzieherische Bedenken, drängt sich eine Änderung des kindlichen Verhaltens auf. Meist kann diese aber nur langfristig erreicht werden. Eine hilfreiche Zwischenlösung kann eine Matratze neben dem Bett der Eltern sein, auf der das Kind schläft.

Neben inadäquaten Erziehungshaltungen gibt es familiäre und kindliche Ursachen, die zu Schlafstörungen führen können, welche leider häufig auf eine Behandlung weniger gut ansprechen als die erziehungsbedingten. Eheprobleme, Überbehütung, Schichtarbeit der Eltern oder aber organische Schädigungen und verzögerte Reifung des Zentralnervensystems können als Ursachen von kindlichen Schlafstörungen gefunden werden. Der Beratung sind bei organisch bedingten Schlafstörungen engere Grenzen gesetzt, und gelegentlich ist eine medikamentöse Behandlung nicht zu umgehen.

 

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Literatur

1. Basler, K., Largo R.H., Molinari L: Die Entwicklung des Schlafverhaltens in den ersten fünf Lebensjahren. Helvetica Paediatrica Acta 35, 211-223 (1980)

2. Bühler, M., Largo R.H.: Aspekte des Schlafverhaltens zwischen 2 und 18 Jahren. Helvetica Paediatrica Acta 36, 533-541 (1981)

3. Grunwaldt, E., Bates T., Guthrie D.: The onset of sleeping through the night in prescool children. Journal of Child Psychology and Psychiatry 22, 5-17 (1960)

4. Klackenberg, G.: A prospective longit study of children. Data on psychic h( and development up to 8 years of age Acta Paediat. Scand. Supplementum (1971)

5. Largo, R.H. u. Hunziker U.A.: A devel ment approach to the management c children with sleep disturbances in th three years of life. European Journal c Pediatrics 142, 170-173 (1984)

6. Largo, R.H. u. Hunziker U.A.: Normales Schlafverhalten und die häufigsten Störungen in den ersten Lebensjahren. Paed ( prax. 38, 215-223(1989) 7. Roffwarg, H.P., Muzio J.N., Dement \ Ontogenetic development of the human sleep-dream cycle. Science 152, 604 (1966)

Anschrift für die Verfasser:

Prof. R. Largo
Universitäts-Kinderklinik
Steinwiesstraße 75
CH - 8032 Zürich
Schweiz
www.kispi.unizh.ch

Quelle: hautnah päd 2/1993, Seiten 146-148

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